Schöne neue Gentechnik-Welt

Ist die Gentechnik-Risikoprüfung nur ein nerviger „pain in the ass“ für die Industrie? Ist es „völlig bananas“, ob Agrarprodukte gentechnisch manipuliert sind? Ist das Vorsorgeprinzip der EU „bullshit“? Über fragwürdige Thesen und falsche Fakten in einer ZDF-Wissenschaftsshow zur Agrogentechnik.

„Der Einstieg in den Biolandbau gehört erst einmal gestoppt!“, „Agrarproduktion muss Vorrang vor Artenschutz haben!“ In Zeiten, in denen Wirtschafts- gegen Umweltinteressen ausgespielt werden, tragen Wissenschaft und Medien eine besondere Verantwortung, die Ziele der Agrarindustrie zu hinterfragen. Insbesondere bei der Agrogentechnik, bei der es um ein potentielles „Milliardengeschäft mit Biotechpflanzen“ (Der SPIEGEL) geht. Wo die umstrittene „grüne Gentechnik“ kritiklos über den grünen Klee gelobt wird, lohnt es sich jedenfalls, hellhörig zu werden.

Fragwürdige Industrieversprechen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

 Für Wissenschaftsjournalist*innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk müssten die oft unbelegten Werbebotschaften der Agrogentechnik-Industrie eigentlich eine Steilvorlage für kritisches Hinterfragen sein. Dr. Mai Thi Nguyen- Kim ist eine großartige Wissenschaftskommunikatorin, die mit ihrer MaiThink X-Wissenschaftsshow im ZDF hunderttausende Menschen erreicht. Sie ist Mitglied im Senat der Max-Planck-Gesellschaft, Scientists for Future Aktivistin und hat sich beim kritischen Hinterfragen etwa von Verschwörungstheorien sehr verdient gemacht. Umso irritierender die MaiThink X-Show zur „grünen Gentechnik“. Darin macht sich Nguyen-Kim die Falschbehauptung der Agrarindustrie, Gentechnik sei völlig ungefährlich für Bestäuber, zu eigen. Zudem hinterfragt die Show Versprechen der Agrogentechnik- Industrie nicht kritisch, sondern präsentiert sie wie Tatsachen.

Etwa die These, Gentechnik könne die Antwort auf den Welthunger sein. Ob Agrogentechnik je einen nennenswerten Beitrag zur Bekämpfung des Welthungers leisten können wird, lässt sich nicht seriös prognostizieren. Nicht einmal Überproduktion kann das Hungerproblem lösen. Schon jetzt produzieren wir so viele Lebensmittel, dass diese rein rechnerisch für 12 Milliarden Menschen reichen würden. Doch die Hälfte davon landet im Müll. Hunger ist ein systemisches Problem mit vielen Ursachen. Allein die Tierhaltung nimmt circa 80 Prozent der globalen landwirtschaftlichen Nutzfläche in Anspruch. Industrielle Massentierhaltung ist der wichtigste Markt für Agrogentechnik. Ein problematischer Markt. Denn: „Fleisch frisst Land“.

Mit Gentechnik, Glyphosat und Atomkraft in die Zukunft?

Und Gentechnik reduziert auch nicht zwingend Pestizide. Im Gegenteil: Nach der Einführung von gentechnisch verändertem Soja in Argentinien verdoppelte sich dort der Glyphosatverbrauch innerhalb von nur einem Jahrzehnt. Auch der Pestizidatlas 2022 der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, dass Gentechnik auf dem Acker letztlich zu mehr Pestiziden führt. Von solchen Problemen ist in der MaiThink X-Show leider nichts zu hören. Stattdessen zitiert Nguyen-Kim einseitig eine umstrittene Metastudie aus dem Jahr 2014, die zu einem gegenteiligen Ergebnis kommt.

Der Autor dieser Studie, der Agrarökonom Matin Qaim, war auch an einer Studie beteiligt, in der behauptet wird, Agrogentechnik führe zur CO2-Reduktion. Diese Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem „Breakthrough-Institut“ erstellt, das Umweltprobleme durch Kernenergie und industrielle Landwirtschaft lösen will. Einer der Gründer von Breakthrough ist der Atomlobbyist Michael Shellenberger, der mit dem als Bürgerinitiative getarnten Lobbyverein „Nuclear Pride Coalition“ für mehr Kernkraft wirbt. Die Harvard-University schreibt, das Breakthrough-Institut scheine eine „Quasi-Lobby-Organisation“ zu sein, die „ihre Finanzierung nicht angemessen offenlegt“. Insgesamt ein einseitig industriefreundliches und wenig vertrauenserweckendes Umfeld, das der MaiThink X-Show als Kronzeuge für die Unbedenklichkeit von Agrogentechnik dient.

Eine für Bestäuber „ungefährliche Technologie“?

Hinter ihre Aussagen zur vermeintlichen „Unbedenklichkeit“ von Agrogentechnik setzt Nguyen-Kim kein Fragezeichen. Obwohl sie weiß, „es gibt […] berechtigte Sorgen, auf die ich hier aber nicht länger eingehe“. Denn die durchaus „berechtigten Sorgen“ würden ja nicht exklusiv die Agrogentechnik betreffen. Nguyen-Kim behauptet, es sei „völlig bananas, die Sicherheit einer neuen Sorte auf Basis ihres Herstellungswegs zu beurteilen, anstatt auf Basis ihrer Eigenschaften“. Das ist ungefähr so, als würde man sagen, es sei „völlig bananas“, ob Solar- oder Atomstrom aus der Steckdose kommt, da die Sicherheit des Stroms unabhängig von der Art der Herstellung sei. Das ist zwar richtig, blendet aber den für die Umweltsicherheit entscheidenden Herstellungsprozess aus.

Ein Beispiel: In genomeditiertem Leindotter wurde der Anteil an leicht oxidierbarer Linolsäure vermindert, um das Öl länger haltbar zu machen. Mit konventioneller Züchtung war dies nicht gelungen. Doch der geringere Linolsäuregehalt birgt Risiken für Bienen. Honigbienen, deren Nahrung weniger Linolsäure enthält, entwickeln ein kleineres Gehirn. Dabei spielt es für die Risikoanalyse keine Rolle, ob sich der Effekt theoretisch auch mit klassischer Züchtung hätte erreichen lassen. Denn mit der Genschere werden potentiell riskante Eingriffe in die Nahrungsnetze einfacher und damit häufiger werden. Oder anders ausgedrückt: Die Risiken für das Ökosystem sind durch die Neue Gentechnik gewachsen.

Aber auch der besondere „Herstellungsprozess“ der Gentechnik-Pflanzen kann andere Ergebnisse als die klassische Züchtung hervorbringen. Die Genschere ermöglicht nämlich die gleichzeitige Veränderung mehrerer besonders geschützter Genomregionen. Solche Veränderungen lassen sich mit klassischer Züchtung praktisch nicht erreichen. Zudem identifizierten Forschende jede Menge unbeabsichtigter „schädlicher Nebenprodukte“ in genomeditierten Pflanzen.

Hemdsärmeliger Umgang mit Studien

Durch den hemdsärmeligen Umgang mit den Risiken der Agrogentechnik konnten sich gravierende Fehler in die Sendung einschleichen. So behauptet Nguyen-Kim vor dem Bild eines Tagpfauenauges (Aglais io), Gentechnik-Mais, der bestimmte Insektengifte – sogenannte Bt-Toxine – produziert, sei ungiftig für Schmetterlinge. Doch in der Studie, auf die Nguyen-Kim verweist, wird das Tagpfauenauge gar nicht erwähnt, sondern der Kleine Fuchs (Aglais urticae). Und bei diesem wurden subletale Effekte durch Bt-Maispollen bei einer Menge festgestellt, die auch am Feldrand gemessen wurde. Für das Tagpfauenauge wiederum wurde in einer anderen Studie eine „signifikante zusätzliche Sterblichkeit durch BT-Maispollen auf der Ebene von Teilpopulationen“ nachgewiesen. Und eine Studie im Journal Insect Science von 2020 kommt zu dem Ergebnis, dass der Anbau von transgenem Mais geschützte Schmetterlinge in Europa gefährden kann.

Wenn man dann noch weiß, dass die Giftigkeit von Gentechnik-Bt-Pflanzen im Freiland zwanzig Mal höher sein kann als in den Planspielen im Labor, wundert man sich, dass in einer Wissenschaftssendung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nur die angeblichen Vorteile von Gentechnik- Pflanzen gelobt werden, ohne deren Risiken für die Biodiversität in journalistisch angemessener Weise zu beleuchten. Nguyen-Kim und ihr Redaktionsteam hätten sich besser an die Worte eines hervorragenden anderen Wissenschaftsjournalisten erinnern sollen. Lars Fischer schrieb einmal: „Wenn man beim Recherchieren nicht ein-, zweimal seine Ansicht ändert, recherchiert man möglicherweise schlecht.“

Auf www.biene-gentechnik.de finden Sie mehr Informationen über die Risiken neuer Gentechnik für Bienen und Umwelt. Bitte unterstützen Sie dort gestartete Petition „Schützt die Biene vor Gentechnik!“ mit Ihrer Unterschrift!

Von Bernd Rodekohr, Leitung der Kampagne „Schützt die Biene vor Gentechnik“ der Aurelia Stiftung. Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin der Aurelia Stiftung, Sommer 2022.

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