Die »alte« Gentechnik und die »Gen-Kanone«
Mit der »alten« Gentechnik werden artfremde Gene in das Erbgut eingeschleust – mit dem Ziel, Pflanzen bestimmte Eigenschaften zu verleihen. Pflanzen und Tiere werden dabei nicht als Ganzes gesehen, sondern auf die Funktion einzelner »Gen-Bausteine« reduziert. Die natürlichen Mechanismen von Vererbung und Genregulation werden dabei umgangen. Mithilfe der sogenannten »Gen-Kanone« wird zum Beispiel ein Gen eines Bakteriums in das Genom einer Pflanze eingebracht. Auf diese Weise wird der Pflanze eine Eigenschaft des Bakteriums aufgezwungen. Etwa die Resistenz gegen ein Pestizid. Darüber hinaus entstehen aber oft auch weitere, ungewollte Veränderungen und unerwartete Wechselwirkungen. Denn mittels Gentechnik werden Organismen mit biologischen Eigenschaften erzeugt, die nie von der Evolution erprobt wurden.
Bei der »transgenen« Maissorte Mon810 wurden so Gene aus Bodenbakterien in das Mais-Genom eingeschleust, um den Mais selbst ein Gift (Bt-Toxin) gegen »Schadinsekten« produzieren zu lassen. Allerdings entwickelten die »Schädlinge« Resistenzen gegen die Bt-Gifte. Unkräuter entwickelten sich zu Bt-resistenten Superunkräutern. Als Folge müssen auf Bt-Mais-Feldern zusätzliche Spritzmittel eingesetzt werden. Auch wirken BT-Toxine nicht nur auf die jeweiligen »Zielorganismen« wie Maiswurzelbohrer oder Maiszünsler, sondern auch auf Schmetterlingsraupen, Bodenlebewesen, Wasserorganismen und Bienen. Die Folgen für das Ökosystem und für die Gesundheit von Mensch und Tier sind dabei nicht abschätzbar, zumal eine unkontrollierte Ausbreitung und Auskreuzung von Genpflanzen vielfach bereits nachgewiesen wurde.
Die »neue« Gentechnik und Crispr-Cas
2012 entdeckte die Biologin Emmanuelle Charpentier eher zufällig, dass einige Bakterien einen besonderen DNA-Reparaturmechanismus besitzen, um sich gegen Viren zu verteidigen: Crispr. Mit diesem Mechanismus und dem DNA-schneidenden Enzym Cas9 sind Gentechniker in der Lage, gezielt Gene zu entfernen, einzufügen oder auszuschalten. Diese »Genschere« Crispr-Cas9 funktioniert bei einzelnen Basen, ganzen Genabschnitten und auch an mehreren Stellen zugleich (Multiplexing). Zusammen mit dem Enzym Cas9 wird eine sogenannte „Lotsen“-RNA an jene Orte im Erbgut geführt, die »umgebaut« werden sollen. Der Umbau kann kleine oder große, einzelne oder viele Abschnitte betreffen. Solche Veränderungen können zu neuen Gen-Kombinationen führen, die nicht durch konventionelle Züchtung hergestellt werden können.
Die Entdeckung des Crispr-Cas9 Mechanismus löste einen wahren Run von Risikokapitalgebern und Investoren auf die Biotech-Branche aus: Die »neue« Gentechnik war geboren. Sie soll die Heilsversprechen der alten Gentechnik, die diese nie zu erfüllen vermochte, Wirklichkeit werden lassen: genmanipulierte Pflanzen, die die Erträge steigern, den Hunger in der Welt besiegen, Pestizide überflüssig machen und dem Klimawandel trotzen. Diese Versprechen der Agrarkonzerne sind verführerisch, doch die meisten wissenschaftlichen Untersuchungen beweisen, dass bisher jeweils genau das Gegenteil eingetreten ist.
Da die überwältigende Mehrheit der Verbraucher Gentechnik aufgrund ihrer Risiken ablehnt und auch 75 % der Landwirte eine Gentechnik-Kennzeichnung befürworten, soll das richtige »Wording« dafür sorgen, das der Verbraucher die »neue« Gentechnik möglichst gar nicht mehr mit der »alten« Gentechnik in Verbindung bringt. Gern wird daher statt von Gentechnik von »Präzisionszüchtung«, »neuen Züchtungsverfahren« oder von »Genome Editing« (Genomchirurgie) gesprochen. Die Gentechnikindustrie stellt »Genome Editing« dabei gern als ein beherrschbares, gut überschaubares Verfahren vor. So, wie ein Programmierer Computerprogramme umschreibt, sollen lebende Organismen gentechnisch »umprogrammiert« und »optimiert« werden. Was diese Darstellung jedoch verschweigt: ein Gen hat nicht nur eine Wirkung. Auch einzelne kleine Veränderungen können in der Summe zu ganz neuen Eigenschaften der Organismen führen, deren Auswirkungen auf das Individuum und auf das das Ökosystem überhaupt nicht vorausgesehen werden können.
Die »neue« Gentechnik, der EuGH und der Ethikrat
2018 bestätigte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Grundsatzurteil zur neuen Gentechnik die Position von Verbraucher- und Umweltschützer*innen und unabhängigen Wissenschaftler*innen: Auch »neue« Gentechnik ist Gentechnik und fällt unter die EU-Gentechnik-Gesetzgebung. Künstlich erzeugte Organismen dürfen nicht ungeprüft als großes Freilandexperiment in die Umwelt gelangen. Das Vorsorgeprinzip und die Anforderungen an das Zulassungsverfahren sowie die Bewertung von Gesundheits- und Umweltrisiken, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit gelten uneingeschränkt auch für alle neuen GVOs.
Wegen der tiefgreifenden Folgen von Crispr fordert auch der Deutsche Ethikrat eine weitgespannte Diskussion und internationale Regulierung. »Es braucht eine intensive gesellschaftliche Debatte darüber, was wir mit der neuen Technik anstellen wollen«, so der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Prof. Peter Dabrock. »Wir dürfen die Entscheidungen nicht nur den Wissenschaftlern überlassen.«. Und schon gar nicht dürfen wir sie der Gentechnik-Industrie und ihren Gewinninteressen überlassen.